Die Jugend von heute – politikverdrossen?

Das Verhältnis von Jugendlichen zu politischen Themen ist ein beliebtes Gesprächsthema, besonders unter Erwachsenen. Warum nichtmal die Meinung einer Jugendlichen dazu anhören?

Ein Text von Lea Ziegler

„Wie kann es sein, dass du von diesem Thema keine Ahnung hast? Als wir so alt waren wie ihr, sind wir noch auf die Straße gegangen und haben uns dort für Politik engagiert! Du musst dir doch eine Meinung dazu bilden! Die heutige Jugend ist einfach politikverdrossen…“

Wenn es um die Frage geht, wie Jugendliche heutzutage zu Politik stehen, begegnet man nicht selten solchen Aussagen. Häufig wird der Vorwurf laut, dass Jugendliche sich nicht genug engagieren und kein großes Interesse am politischen Geschehen zeigen.

Als ich begonnen habe mich mit der Frage, ob Jugendliche heutzutage politikverdrossen sind, auseinanderzusetzen, ist mir bewusst geworden, wie schwierig es ist, diese zu beantworten. Beziehe ich sie auf mich, würde ich sie ohne lange darüber nachzudenken, verneinen. Schaue ich jedoch in meinen Freundeskreis, fällt mir die Antwort schwerer. Dort gibt es Jugendliche, die sich für politische Themen interessieren und engagieren, es gibt aber auch Jugendliche, die sich nicht damit auseinandersetzen. Besonders in meiner Schulzeit sind mir Sätze wie: „Ich habe von Politik gar keine Ahnung“ oder „Politik interessiert mich einfach nicht“ häufig begegnet. Solche Aussagen würden die These, dass Jugendliche heutzutage politikverdrossener sind, bestärken.

Ist an diesem Vorwurf, dass Jugendliche politikverdrossen sind, wirklich etwas dran?

Vor drei Jahren hätte ich dies vermutlich bejaht. 2017 sollte ein Kurzfilm zum Thema „Was bedeutet Demokratie?“ gedreht werden. Dazu wurde die lokale Jugendgruppe, in der ich mich engagiere, interviewt. Während des Interviews wurde von der Mehrheit der Gruppe betont, dass sie keinerlei Interesse an Politik hat. Für mich war es völlig unverständlich, wie eine solche Aussage pauschal getroffen werden kann. Wie kann es sein, dass Jugendliche, die sich in der Gemeinde engagieren, das Interesse am politischen Geschehen vehement abstreiten? Ist die Gemeinde nicht Teil des politischen Systems? Genau an diesem Punkt wurde mir bewusst, dass die Aussage „Ich habe keine Ahnung von Politik“ häufig zu voreilig und unüberlegt geäußert wird. Wenn das Wort Politik fällt, impliziert das für Viele prunkvolle Gebäude, in denen wichtige Leute in feinen Anzügen kompliziert klingende Reden halten. Politik, so habe ich den Eindruck, erscheint oft als etwas Großes, Ungreifbares, das mit dem Individuum wenig zu tun hat.

Dieser Gedanke ist allerdings nicht ganz richtig. Vielmehr ist politisches Handeln so sehr in unseren Alltag eingebunden, dass wir uns dessen gar nicht immer bewusst sind. Es fängt schon im Kleinen an, in der Schule, bei der Arbeit oder eben in der lokalen Jugendgruppe. Ich bin mir sicher, dass Jugendliche sich vielleicht nicht mit den neusten Bestimmungen zur Rentenversicherung auseinandersetzen wollen, sich aber sehr wohl für lokale Themen und Probleme interessieren, auch wenn in diesen Zusammenhang nicht unbedingt der Begriff „Politik“ verwendet wird.

Wo beginnt politisches Interesse?

Was bedeutet es eigentlich politisch uninteressiert zu sein? Mit dem Begriff Verdrossenheit verbinde ich vor allem Unlust, Unzufriedenheit oder auch Gleichgültigkeit. Wenn Jugendlichen Politikverdrossenheit vorgeworfen wird, bedeutet das für mich, dass sie keine Lust haben, sich einzubringen oder dass Politik ihnen gleichgültig ist. Diese Schlussfolgerung klingt in der Theorie zwar logisch, in der Praxis ist eine klare Trennung allerdings schwer zu realisieren.

Das Problem dabei ist, eine Grenze festzumachen, ab der jemand nicht mehr als politikverdrossen einzuordnen ist. Gilt jemand, der gelegentlich die Tagesschau sieht, als politisch interessiert? Oder ist es erforderlich mindestens einmal im Monat bei einer Demonstration mitzulaufen, um nicht als politikverdrossen zu gelten?

Sicher ist jedenfalls, dass sich die Art der politischen Partizipation und der Informationsbeschaffung verändert hat. Während früher die Meinungsbildung und der politische Austausch vor allem über Printmedien und soziale Interaktion ablief, ist dies heute bequem vom Sofa aus, über das Smartphone möglich. Ich kann ohne Probleme innerhalb von fünf Minuten eine Onlinepetition unterzeichnen und so Stellung zu einem Thema nehmen. Der Wandel hin zum digitalen Zeitalter muss bei der Beurteilung, inwiefern Jugendliche heutzutage politikverdrossener sind, beachtet werden. Wie genau kann das politische Engagement der heutigen Jugend dann mit dem der älteren Generationen verglichen werden und welche Maßstäbe werden angesetzt, um politisches Interesse zu messen?

Jugendliche können sich sehr wohl für politisches Geschehen begeistern!

Ich bin der Auffassung, dass die meisten Jugendlichen ein gewisses politisches Grundinteresse haben. Den Jugendlichen muss nur ein Raum geboten werden, in welchem sie die Chance haben, sich zu engagieren und in dem sie ernst genommen werden. Sie müssen dort abgeholt werden, wo ihre Interessen liegen und sie bereit sind mehr Zeit zu investieren. So zeigte beispielsweise das Video „Die Zerstörung der CDU“, welches 2019 von Rezo veröffentlicht wurde, wie groß die Reichweite von YouTube unter Jugendlichen ist.

Das Video sorgte dafür, dass plötzlich tausende über ein Thema diskutierten, welches vorher für viele eher irrelevant war. Wäre ein ähnlicher Beitrag etwa in der Zeitung veröffentlicht worden, wäre das Interesse der Jugendlichen mit Sicherheit geringer gewesen.

Ein weiteres Beispiel dafür, dass Jugendliche bereit sind sich zu engagieren, sind die Fridays For Future Bewegungen, die Tausende auf die Straße ziehen, um für den Klimaschutz zu demonstrieren. Natürlich kann an dieser Stelle argumentiert werden, dass Fridays For Future ein Trend ist und viele Jugendliche mitlaufen, ohne wirklich hinter den Werten zu stehen. Trotzdem zeigt die Bewegung, dass viele Jugendliche bereit sind, Zeit für Demonstrationen zu investieren, sich mit dem Thema Klimawandel auseinanderzusetzen und sich selbst ein wenig zu reflektieren.

Hemmen die Werte unserer Gesellschaft das Politikinteresse?

Um überhaupt politisches Interesse zu entwickeln oder politisch aktiv zu werden, ist es ein notwendiger Schritt sich in gewissem Maße selbst zu reflektieren. Man sollte sich irgendwann die Frage stellen: „Welche Werte erachte ich als gut und wichtig für die Gesellschaft und wie sollte ich demnach handeln?“.

Ich habe das Gefühl, dass der Reflexion dieser Frage in unserer Gesellschaft nicht besonders viel Bedeutung beigemessen wird. Es wird weitgehend hingenommen oder als positiv aufgefasst, nach der eigenen Selbstverwirklichung zu streben und ein egozentrisches Selbstbild zu pflegen.  Durch diese Haltung rückt die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund, während die der Mitmenschen in den Hintergrund rücken. Das äußert sich im Alltag z.B durch das übermäßige Konsumverhalten, wie es in Industrieländern gelebt wird. Ich denke, dass egoistisches Verhalten die Bereitschaft, sich zu engagieren und informieren, hemmt. Nur wer in gewissem Maße bereit ist, eigene Bedürfnisse hinten anzustellen und nicht um jeden Preis darauf aus ist, den individuellen Erfolg zu maximieren, wird sich gesellschaftlich engagieren und Interesse zeigen. Auf der anderen Seite ist es gerade die Stärke unseres demokratischen Systems, dass wir unser Leben gestalten können, wie wir es möchten. Uns steht es völlig frei wie oder ob wir uns in das gesellschaftliche Zusammenleben einbringen möchten. Meiner Meinung nach sollten wir das allerdings schätzen und verantwortunsvoll damit umgehen.

Sind Jugendliche politikverdrossen?

Im allgemeinen kann diese Aussage natürlich nie getroffen werden. Es wird immer einen Teil Jugendlicher geben, die sich für Politik interessieren und einen Teil, der es weniger tut.

Es bringt allerdings wenig, Jugendlichen pauschal Politikverdrossenheit vorzuwerfen. Das führt bestimmt nicht zu mehr Beteiligung, sondern eher zu einer trotzigen Reaktion. Vielmehr ist es wichtig, Jugendliche im Prozess einer kritischen Meinungsbildung zu unterstützen. Das funktioniert allerdings nur, solange Politik nicht auf dem Auswendiglernen von Daten, Namen und Ereignissen basiert, sondern mit sich nahe am Alltag der Jugendlichen orientiert.

Aber wozu braucht es überhaupt Beteiligung und Interesse an Politik? Ganz einfach: Politisches Interesse ist der Grundbaustein für ein gutes Zusammenleben in einer Gesellschaft, weshalb politischer Bildung weiterhin betrieben und gefördert werden muss.