Teilausschnitte von Besuchenden und eine Kimoto Skulptur

Midissage – Seiji Kimoto im Zwiegespräch mit Adolf Bender

Bei der Midissage am 23. Juni 2019 zur Ausstellung Seiji Kimoto im Zwiegespräch mit Adolf Bender, hielt Frau Dr. Verena Paul, Stiftung Demokratie Saarland, nachstehende eindrucksvolle Ansprache. Die Ausstellung kann noch bis zum 31. August 2019 im Adolf-Bender-Zentrum besichtigt werden.

Adolf Bender und Seiji Kimoto. Zwei Künstler, die – auf den ersten Blick zumindest – sehr unterschiedlich erscheinen mögen. Immerhin trennen die beiden Kunstschaffenden eine Generation, ein Kontinent, unterschiedliche kulturelle Prägung und nicht zuletzt die Wahl ihrer künstlerischen Medien und Ausdrucksformen. Doch in einem entscheidenden Punkt finden sie zusammen: in ihren Themen. Hier umkreisen sie Freiheitsbestrebungen und Widerständigkeit des Menschen sowie die stete Gefahr des Gebrochenwerdens.
Adolf Bender, 1903 in Mainz geboren, wird künstlerisch beeinflusst von den“ Ismen“ des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts und von Künstlern wie Max Beckmann, Heinrich Zille, Frans Masereel oder der Künstlerin Käthe Kollwitz. Bender ist ein Suchender, der sich nicht mit Form- und Farbexperimenten zufrieden gibt. Er möchte mit seiner Kunst Gehör finden, mahnen, gesellschaftlichen Schieflagen entgegenwirken und für demokratische Werte eintreten. Die im Adolf-Bender-Zentrum gezeigten Gemälde des „Moorsoldaten-Zyklus“ sind beredtes Beispiel seines ästhetisch-politischen Doppelengagements und nehmen eine Schlüsselposition in seinem Œuvre ein. Adolf Bender bekannte im wahrsten Sinne des Wortes Farbe, als er sich als „Pflastermaler“ betätigte oder die Hitlerplakate mit seinem Pinsel ironisierte. Doch diese „leichtsinnige Oppositionslust“ führte ihn am 9. November 1933 ohne Gerichtsverfahren in die im Emsland gelegenen Konzentrationslager Börgermoor und Esterwege. Aus Widerstand wurde Ohnmacht und aus Ohnmacht erwuchs erneut Widerstand. Die während seiner dreijährigen Haftzeit entstanden Skizzen nutzt Bender schließlich als Grundlage für die hier ausgestellten Ölgemälde, die durch ihre bisweilen eigenwilligen Bildkompositionen mit den kraftvollen Pinselzügen und jenem reduzierten Formgestus zu seinen persönlichsten Werken gehören.
Seiji Kimoto, 1937 in Osaka geboren, ist und bleibt ein ewig Reisender zwischen den Weltkulturen, als Mensch aber natürlich auch in seiner künstlerischen Arbeit – stets auf der Suche nach menschlichen Werten, nach der Würde des Menschen. Dergestalt findet in all seinen Werken eine faszinierende Symbiose von japanischer Tradition und europäischer Moderne statt. Früh wurde der japanisch-saarländische Künstler mit den Themen Gewalt, Zerstörung und Ohnmacht konfrontiert, denn bereits als Kind erlebt er die verheerenden Bombardements im Zweiten Weltkrieg in Japan. Später setzt er sich kritisch mit der Geschichte des Nationalsozialismus sowie der Gewaltherrschaft in der ehemaligen DDR auseinander. Das Erspüren und das Verstehenwollen von Auswüchsen der Gewalt finden Eingang in seine Werke, die in vielen Schichten das Abgründige des Menschen freilegen und zugleich das Maximum des körperlich und seelisch Ertragbaren aufzeigen. Mit feinem Gespür für Recht und Unrecht reflektiert er kreativ, mutig und stets an der Sache orientiert Geschichte und Zeitgeschehen und weist gerade darin eine geistige Verwandtschaft mit Adolf Bender auf.
„Kunst“, sagt Seiji Kimoto, „muss uns berühren und Spuren in uns hinterlassen.“ Und in der Tat bindet Seiji Kimoto die Betrachter mit den figurativen Arbeiten in ein Geflecht aus Gefühlen und Gedanken ein. Dabei werden wir Zeugen einer zerreißenden Stille, die aus überdehnten, geknebelten und fragmentierten Leibern entströmt.
Markant Kimotos mehrteilige Figurengruppe im Eingangsbereich. Die mit Seilen gefesselten, gegürteten oder durchbohrten Körper strecken – stehend oder sich am Boden windend – ihre Arme empor und korrespondieren so mit Benders „Torfstechern“ und den aus dem Moor ins Lager zurückkehrenden Häftlingsreihen.

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Auch die fünfteilige Plastik „Menschen Normung“ weiß sich mit Benders Werken zu verständigen. Die von Kimoto und Bender Dargestellten sind ausgehöhlt, von schwerer körperlicher Arbeit leer gesogen, von willkürlichen Schikanen und grausamer Brutalität gebrochen – ihr Menschsein eingefroren.

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Eigendynamik entwickeln dagegen die links im Eingangsbereich befindlichen Gemälde „Moorlandschaft“, „Lageraufbau“, „Moorexpress“ und die skulpturale Arbeit „Dennoch“. Adolf Bender richtet hier den Fokus auf die karge, mal in dunkle Erdtöne getauchte, mal von leuchtenden roten, blauen, grünen und weißen Tupfern übersäte Moorlandschaft oder die Gebäude des Lagers. Dabei fehlen Menschen entweder gänzlich oder lösen sich schemenhaft in Gruppen auf. Die davor positionierte Plastik zeigt hingegen einen gebeugt laufenden, von einem Seil zusammengeschnürten Leib mit überdimensional großen Fächerhänden. Das Individuum, das sich bei Adolf Benders Darstellungen von Lager und Landschaft aufzulösen droht, ist durch Seiji Kimotos Figur plötzlich im Raum präsent.

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Ähnlich der Dialog zwischen Benders markiger, farblich abstrakt anmutender Arbeit „25“, die die Folter eines Häftlings zeigt, und Kimotos Werk „Zwei Menschen“. Hier der distanzierte Blick auf eine erstarrte Szene, die mehr erahnen lässt als dass sie zeigt, und dort der überdimensionale Fuß, der sich gewaltsam auf einen menschlichen Körper pflanzt.Das dreiteilige Bildobjekt richtet das Augenmerk ebenfalls auf das, was Menschen ihren Mitmenschen antun können. Die deformierten, partiell amputierten Körper mit übergroßen verwachsenen Gliedmaßen knien oder wagen ihren papiernen Fuß in den Raum zu setzen und verbleiben dahingehend in der Schwebe zwischen Ohnmacht und Macht.

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Ähnlich das Zwitterwesen „Schmerz und/oder Schuld“, dessen verstümmelter Korpus sich auf einem funktionsuntüchtigen Wagen befindet. Durch die Haltung wird jedoch eine innere Kraft und Entschlossenheit spürbar, die Mut macht, und dem sich sowohl das Gemälde einer im Gespräch befindlichen Häftlingsgruppe als auch das Profilbild Carl von Ossietzkys anschließen. Es sind die kleinen Nischen des Widerstandes, die Kraft spenden, die Menschen über sich selbst hinauswachsen lassen. Diese Überlegungen sind allerdings nur eine Möglichkeit, das Zusammenspiel der in dieser Ausstellung präsentierten Werke zu lesen. Adolf Bender und Seiji Kimoto gewähren den Betrachtern Freiräume in der Wahrnehmung und Erkundung ihrer Arbeiten und somit bei der individuellen Interpretation.

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Fest steht aber, dass Seiji Kimotos Plastiken Geschichten von entgleister Machtanwendung an unterdrückten, versehrten und gemarterten Köpern erzählen. Sie fragen nach den Ursprüngen einer entfesselten Unmenschlichkeit, nach Menschenwürde und menschlichen Werten. In ihrer klaren, unverkennbaren Formensprache, die die widerstreitenden Prinzipien von Spaltung und Bindung, Druck und Aufbegehren, Spannung und Lösung in sich vereinen, machen die skulpturalen Arbeiten Unterdrückung nicht nur begreifbar, sondern erlebbar. Adolf Bender hat das im „Moorsoldaten-Zyklus“ Dargestellte gar am eigenen Leib erlitten und macht in seinem reduzierten Stil deutlich, was man kaum in Worte zu kleiden vermag.
Philosophen wie Theodor W. Adorno stellten einige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Frage, „ob Kunst überhaupt noch sein dürfe“. Und Michael Wyschogrod war „der festen Überzeugung, daß Kunst dem Holocaust nicht angemessen ist“, dass sie „dem Leiden den Stachel“ nehme. Adolf Bender und Seiji Kimoto führen den beeindruckenden Gegenbeweis: ihre Kunst hält das Menschsein, aber auch die Geschichte wach, lässt uns die Vergangenheit nicht vergessen, weil wir vielleicht sonst Gefahr laufen, in ähnliche Fahrwasser zu geraten.

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Weitere Bilder zum Text von Frau Dr. Paul folgen in Kürze

Seiji Kimoto steht mit Frau Dr. Paul über eine kleine Skulptur gebeugtBlick in den BesucherraumBlick in den BesucherraumGruppenbildVereinsvorsitzender Willi Portz bei seinem GrußwortFoto des vortragenden Künstlers und von Frau Dr. PaulMit deutlicher Mimik trägt ein Künstler ein Gedicht von Brecht vor.Seiji Kimoto im Halbprofil