Jüdisches Leben im Landkreis St. Wendel

Seit 1700 Jahren leben nachweislich Juden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Ein Edikt des römischen Kaiser Konstantin aus dem Jahr 321 als Antwort auf eine Anfrage aus Köln, ob Juden in die Kurie und Stadtverwaltung berufen werden können, gilt als ältester Beleg für die Existenz einer jüdischen Gemeinde in Deutschland. Das Jahr 2021 markiert daher ein Festjahr, indem durch viele Veranstaltungen und Projekte, Menschen die Möglichkeit haben die jüdische Kultur mit all ihren Facetten kennenzulernen und ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen.

Auch im Landkreis St. Wendel gab es erste Ansiedlungen von jüdischen Familien, die nachweislich bis ins Mittelalter zurück reichen. Über die Jahrhunderte nahm die jüdische Bevölkerung stetig zu und integrierte sich in das Gemeindeleben. Mit Beginn der Machtübernahme Hitlers 1933 nahmen jedoch Verfolgung, Diskriminierung und Ausschreitungen gegenüber Juden stark zu. Durch die „Wagner-Bürckel-Aktion“ 1940 wurden die letzten jüdischen Mitbüger:innen ins französische Konzentrationslager Gurs deportiert und das jüdische Leben erlosch im St. Wendeler Land. Im Folgenden werden die jüdischen Siedlungsschwerpunkte Bosen, Gonnesweiler, St. Wendel, Sötern, Tholey und Herschweiler in gegebener Kürze vorgestellt.

Bosen

Die jüdische Gemeinde in Bosen zählt zu den ältesten im Landkreis St. Wendel. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück, so lebten 1790 schon 6 jüdische Familien in Bosen. Die Bevölkerung stieg stark an und man erreichte 1849, bevor die Landflucht einsetzte, den Höchststand von 143 Personen. 1933 lebten noch 41 jüdische Personen in Bosen. In den folgenden Jahren musste ein Teil der jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien ihre Heimat verlassen. Am 23. April 1942 wurden die letzten jüdischen Einwohner aus Bosen in die Vernichtungslager des Ostens deportiert.

Die jüdischen Einwohner waren im Leben des Ortes weitestgehend integriert. Um 1900 war der Viehhändler und Landwirt Felix Baum mehrere Jahre Mitglied des Gemeinderates der Gemeinde Bosen. In dieser Zeit setzte er sich für die Einrichtung der „Kleinkinderschule“ (Kindergarten) am Ort ein, die 1901 eröffnet werden konnte.

Bosen hatte als religiöses Zentrum ein relativ großes Einzugsgebiet. 1867 waren die Orte Eiweiler, Gonnesweiler, (Hofgut) Imsbach, Neunkirchen/Nahe und Selbach angeschlossen, 1910 und 1929 kamen Eckelhausen, Mosberg-Richweiler, Steinberg-Deckenhardt und Walhausen hinzu.

An Einrichtungen bestanden eine Synagoge, eine jüdische Schule und ein rituelles Bad. Die Toten der Gemeinde wurden auf dem jüdischen Friedhof in Sötern beigesetzt. Die Gemeinde gehörte zum Bezirk des Landrabbinates Hoppstädten-Birkenfeld. An jüdischen Vereinen gab es den Wohltätigkeitsverein Chewra Kadischa und den Israelitischen Frauenverein.

Gonnesweiler

Um 1700 sind die ersten Juden in Gonnesweiler namentlich bekannt. Im Laufe des 18. Jahrhunderts siedelten sich weitere Familien an, so waren es 1849 insgesamt 37 Juden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Anzahl der jüdischen Familie wegen Abwanderung in die Industriestädte und Auswanderung ab, um im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts wieder leicht anzusteigen. Im Jahr 1933 lebten auf Grund von Verfolgung und Diskriminierung nur noch 8 Juden in Gonnesweiler.

Um 1800 wurde trotz der wenigen Einwohner ein eigener Friedhof angelegt, der sich in der Nähe des Bostalsees befindet. Während des Nationalsozialismus wurde der Friedhof geschändet. Heute sind noch 21 Grabmale erhalten.

1841 ist die Erbauung einer kleinen Mikwe überliefert, die direkt am Bosbach stand. Schon nach 5 Jahren wurde der Bau reparaturbedürftig, da sich Wasser in der Wanne gesammelt hat, woraufhin diese durch Forst beschädigt wurde. Vermutlich wurde der Bau kurz darauf abgerissen.

Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts ist ein Betraum im Wohnhaus der Familie Mendel überliefert, dass bis in die 1930er Jahre im Familienbesitz war.

St. Wendel

Ansiedlungen von Juden in St. Wendel reichen wahrscheinlich schon in die Regierungszeit von Erzbischof Balduin von Trier (1307-54) zurück. Erst mit der Niederlassung der Kaufleute Samuel und Max Daniel 1862 begründet sich eine jüdische Gemeinde in St. Wendel. Stetig stieg die jüdische Bevölkerung an und verzeichnete 1923 mit 143 Personen den Höchststand. Durch das Auslaufen des römischen Abkommens 1935 und der Erlass der Nürnberger Gesetze 1936 kam es zur systematischen Diskriminierung und Verfolgung. So lebten 1938nur noch 9 jüdische Mitbürger:innen in der Stadt. Mit den Deportationen der letzten Juden 1940 durch die sog. „Wagner-Bürckel-Aktion“ erlosch das jüdische Leben im St. Wendeler Land.

Ab 1860 besaß St. Wendel Anbindung an die Eisenbahn und zog u.a. zahlreiche jüdische Kaufleute und Händler an, wodurch Juden im städtischen Leben einen relevanten Wirtschaftsfaktor darstellten. Einige bekannte Geschäfte waren das Kaufhaus Daniel (seit 1862), das Textilgeschäft von Erna und Eugen Berl und das Kaufhaus Alphons. Alle jüdischen Geschäfte in St. Wendel mussten durch die Repressalien und Zerstörungen der Nationalsozialisten aufgegeben werden.

Im Dezember 1902 konnte ein Grundstück erworben werden, auf dem die Synagoge erbaut wurde. Am 10. Nov. 1938 wurde die Synagoge von Angehörigen der SS und SA geplündert, zerstört und niedergebrannt. An der Stelle steht heute eine kleine Gedenktafel.

1871 wurde in Urweiler ein jüdischer Friedhof angelegt. Der Friedhof war seit seiner Anlegung von Schändungen betroffen. 1946/7 wurde er, wie so viele jüdischen Friedhöfe, wieder in instandgesetzt, wobei die ursprüngliche Anordnung der Grabmale außer Acht gelassen wurde.

Tholey

Joseph Isaak Metzger mit Ehefrau und Sohn Isaak werden als erste Familie 1729 namentlich in einer Akte genannt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreichte der jüdische Bevölkerungsanteil fast 10%, so waren 1895 insgesamt 91 jüdische Mitbürger_innen in Tholey ansässig. 1893 entsteht die Synagogengemeinde Tholey. Diese wurde auf Grund von Auswanderungen nach Amerika und der damit verbundenen Schwierigkeit genügend männliche Synagogenmitglieder zusammen zubekommen, 1923 rechtlich aufgelöst. Ebenso schloss zu dieser Zeit die jüdische Schule.

Die Synagogengemeinde besaß um 1900 eine Synagoge, eine Mikwe, eine jüdische Schule und einen Friedhof. 1936 war die Synagoge in einem baufälligen Zustand und wurde verkauft und abgerissen.

Der jüdische Friedhof liegt auf einer Anhöhe zwischen Tholey und Theley am „Vor dem Wareswald“. Wann der Friedhof angelegt wurde ist nicht bekannt, wohl etwa im Laufe des 18. Jahrhunderts. Die letzte Bestattung fand 1942 statt. Zwischen 1942 und 1945 befand sich in Theley ein Lager für kranke, arbeitsunfähige, ausländische Arbeiter_innen. Ein Drittel der 300 Insassen starben und wurden auf dem rechten älteren Teil des jüdischen Friedhofes bestattet. Während des Nationalsozialismus wurde der Friedhof geschändet. Heute existieren noch 73 Grabsteine.

Sötern

Sötern war eine der größten und ältesten jüdischen Gemeinde im Kreis St. Wendel. In Akten tauchen 1738 und 1756 erste jüdische Namen auf. Im Jahr 1849 gab es 225 Personen und 1890 nur noch 99 Juden. Nach dem ersten Weltkrieg stieg die Zahl der jüdischen Bevölkerung gegen den Trend wieder an. 1923 waren es 124 Juden und 1933 lebten noch 90 Juden in Sötern. In der Pogromnacht waren die jüdischen Bürger:innen gezwungen worden, ihre Synagogeneinrichtung zu zerstören und sogar den Leichenwagen zu verbrennen.

1822 ist eine Synagoge nachgewiesen, die vermutlich in einem Privathaus war. 1906 wurde im Zusammenhang der Gesamtrenovierung der Synagoge eine kleine Mikwe errichtet, die 2005 abgetragen wurde. Während des zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude als Unterkunft für Fremdarbeiter und als Pferdestall genutzt und nach dem Krieg als Wohn- und Geschäftshaus. 1831 gründete sich eine jüdische Schule.

Der Friedhof, der auf der Gemarkung zwischen Sötern und Bosen liegt, war auch Grablege für die Bosener Juden. Der älteste gefundene Grabstein auf dem jüdischen Friedhof ist vermutlich aus dem Jahr 1800. Die letzte Bestattung fand 1942 statt. In der Reichspogromnacht wurde der Friedhof geschändet. Nach dem Krieg ging der Friedhof an die Synagogengemeinde und die Gemeinde Nohfelden wurde zur Wiederherstellung und Pflege verpflichtet. Heute existieren noch 206 Grabsteine. 1998 wurden 59 Grabsteine umgeworfen und schwer beschädigt. Die Täter konnten nicht ermittelt werden. 2008 wurde der Friedhof von zwei Jugendlichen geschändet, die Grabsteine umgeworfen haben und Naziparolen an die Friedhofsmauer schmierten.

Herchweiler

Noch zu erwähnen ist Herchweiler. Hercchweiler liegt an der Grenze zu Rheinland-Pfalz und ist ein geteiltes Dorf. Die Synagoge stand jedoch auf der Seite der saarländischen Straßenseite in der Haupersweilerstraße und gehörte zum Ort Haupersweiler. Spätestens im 18. Jahrhundert waren Juden in der „Judengass“ angesiedelt. 1839 gibt es erste namentliche Erwähnungen mit 5 Familien mit 39 Personen. Die jüdischen Bewohnerzahl stieg jedoch nur leicht und in den 1920er lebten wiederum nur noch 5 jüdische Familien in Haupersweiler.

Überliefert ist eine jüdische Schule und ein als Synagoge genutztes Gebäude von 1790. den 1930er Jahren war das Gebäude ungenutzt und leerstehend und wurde 1937 an Privat versteigert und abgerissen. Die bereits 1839 erwähnte Mikwe wurde wohl schon vor 1900 abgerissen.